J. STALIN

Über die Rote Armee



DIETZ VERLAG BERLIN 1950


2. Auflage . 31.—50. Tausend Copyright 1949 by Dietz Verlag GmbH, Berlin • Printed in Germany . Alle Rechte vorbehalten • Gestaltung und Typographie; Dietz Entwurf • Lizenznummer 341 Druck: Mitteldeutsche Druckerei und Verlagsanstalt GmbH, Zweigbetrieb Köthen


INHALT





Über drei Besonderheiten der Roten Armee

Rede in der Festsitzung des Plenums des Moskauer Sowjets am 25. Februar 1928, gewidmet dem zehnten Jahrestag der Roten Armee

Genossen! Gestattet mir, im Namen des Zentralkomitees unserer Partei die Kämpfer unserer Roten Armee, die Kämpfer unserer Roten Marine, die Kämpfer unserer Roten Luftflotte und schließlich unsere Vordienstpflichtigen, die bewaffneten Arbeiter der Sowjetunion zu begrüßen.

Die Partei ist stolz darauf, daß es ihr mit Hilfe der Arbeiter und Bauern gelungen ist, die erste Rote Armee der Welt zu schaffen, die in gewaltigen Schlachten die Freiheit der Arbeiter und Bauern verteidigt und behauptet hat.

Die Partei ist stolz darauf, daß es der Roten Armee gelungen ist, in Ehren den schweren Weg der härtesten Kämpfe gegen die inneren und äußeren Feinde der Arbeiterklasse und der Bauernschaft unseres Landes zurückzulegen, daß es ihr gelungen ist, zur gewaltigsten revolutionären Kampfkraft zu werden zum Schrecken der Feinde der Arbeiterklasse und zur Freude aller Unterdrückten und Versklavten.

Die Partei ist stolz darauf, daß die Rote Armee, die den langen Weg der Befreiung der Arbeiter und Bauern vom Joch der Gutsbesitzer und Kapitalisten zurückgelegt hat, sich auch das Recht erkämpft hat, ihren zehnten Jahrestag zu feiern.

Genossen, worin liegt die Kraft, worin liegt die Quelle der Kraft unserer Roten Armee? Worin bestehen die Besonderheiten, die unsere Rote Armee von allen und jeglichen Armeen, die jemals in der Welt existiert haben, von Grund aus unter-

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scheiden? Worin bestehen die Besonderheiten, die die Quelle der Kraft und der Macht unserer Roten Armee bilden?

Die erste und grundlegende Besonderheit unserer Roten Armee besteht darin, daß sie die Armee der befreiten Arbeiter und Bauern ist, die Armee der Oktoberrevolution, die Armee der Diktatur des Proletariats. Alle Armeen, die bisher unter dem Kapitalismus existierten, wie immer auch ihre Zusammensetzung sein mochte, waren und sind Armeen, die die Macht des Kapitals festigen. Sie waren und blieben Armeen der Herrschaft des Kapitals. Die Bourgeois aller Länder lügen, wenn sie behaupten, daß die Armee politisch neutral sei. Das stimmt nicht. In den bürgerlichen Staaten ist die Armee der politischen Rechte beraubt, sie ist aus der politischen Arena beseitigt, das stimmt wohl. Aber das bedeutet durchaus nicht, daß sie politisch neutral ist. Im Gegenteil, immer und überall, in allen kapitalistischen Ländern, wurde und wird die Armee in die politischen Kämpfe hineingezogen und dient als Werkzeug zur Unterdrückung der Werktätigen. Ist es etwa nicht wahr, daß die Armee dort die Arbeiter unterdrückt, daß sie dort als Bollwerk der Herren dient? Zum Unterschied von diesen Armeen hat unsere Rote Armee die Besonderheit, daß sie ein Werkzeug zur Festigung der Macht der Arbeiter und Bauern ist, ein Werkzeug zur Festigung der Diktatur des Proletariats, ein Werkzeug zur Befreiung der Arbeiter und Bauern vom Joch der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Unsere Armee ist eine Armee der Befreiung der Werktätigen.

Habt ihr darauf geachtet, Genossen, daß in der alten Zeit, und auch jetzt in den kapitalistischen Ländern, das Volk die Armee fürchtete und auch weiterhin fürchtet, daß zwischen Volk und Armee eine Schranke besteht, die die Armee von dem Volke scheidet? Und bei uns? Bei uns bilden im Gegenteil Volk und Armee ein einheitliches Ganzes, eine einzige Familie. Nirgends in der Welt verhält sich das Volk zur Armee so liebevoll und fürsorglich wie bei uns. Bei uns wird die Armee geliebt, geachtet, um sie wird gesorgt. Warum? Weil

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die Arbeiter und Bauern zum erstenmal in der Welt ihre eigene Armee geschaffen haben, die nicht den Herren dient, sondern den ehemaligen Sklaven, den nunmehr befreiten Arbeitern und Bauern.

Darin liegt die Quelle der Kraft unserer Roten Armee.

Was bedeutet aber die Liebe des Volkes zu seiner Armee? Das bedeutet, daß diese Armee das festeste Hinterland haben wird, daß diese Armee unbesiegbar ist. Was ist eine Armee" ohne ein festes Hinterland? Nichts. Die größten Armeen, die bestbewaffneten Armeen zerfielen und zerstoben, wenn sie kein kräftiges Hinterland hatten, wenn sie nicht die Unterstützung und die Sympathien des Hinterlandes, der werktätigen Bevölkerung genossen. Unsere Armee ist die einzige Armee der Welt, die sich der Sympathien .und der Unterstützung der Arbeiter und Bauern erfreut. Darin liegt ihre Kraft, darin liegt ihre Festigkeit.

Dadurch vor allem unterscheidet sich unsere Rote Armee von allen anderen Armeen, die in der Welt existierten und existieren.

Der Wunsch der Partei, ihre Aufgabe besteht darin, daß diese Besonderheit der Roten Armee, die engen und brüderlichen Bande, die sich zwischen ihr und den Arbeitern und Bauern knüpfen, unserer Roten Armee erhalten und gesichert bleibt.

Die zweite Besonderheit unserer Roten Armee besteht darin, daß unsere Armee eine Armee der Brüderlichkeit der Völker unseres Landes ist, eine Armee der Befreiung der unterdrückten Völker unseres Landes, eine Armee der Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit der Völker unseres Landes. In der alten Zeit pflegte man die Armeen im Geiste des Chauvinismus, im Geiste der Eroberungssucht, im Geiste der Notwendigkeit der Unterwerfung schwacher Völker zu erziehen. Dadurch erklärt sich eigentlich, daß die Armeen von altem Typus, die kapitalistischen Armeen, zugleich Armeen nationaler und kolonialer Unterdrückung waren. Darin lag eine der Hauptschwächen der alten Armeen. Unsere Armee unterschei-

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2 Stalin, Ober die Rote Armee g


det sich von Grund aus von Armeen kolonialer Unterdrückung. Ihr ganzes Wesen, ihre ganze Organisation beruht auf der Festigung der Freundschaftsbande zwischen den Völkern unseres Landes, auf der Idee der Befreiung der unterdrückten Völker, auf der Idee der Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit der sozialistischen Republiken, die der Sowjetunion angehören.

Darin liegt die zweite Hauptquelle der Kraft und der Macht unserer Roten Armee. Darin liegt die Gewähr dafür, daß unserer Armee im kritischen Augenblick die weitestgehende Unterstützung der Millionenmassen aller und jeglicher Völker und Nationalitäten, die unser unermeßliches Land bewohnen, zuteil werden wird.

Der Wunsch der Partei, ihre Aufgabe besteht darin, daß diese Besonderheit ebenfalls unserer Roten Armee erhalten und gesichert bleibt.

Schließlich die dritte Besonderheit der Roten Armee. Sie besteht in der Erziehung und Festigung des Geistes des Internationalismus in unserer Armee, in dem Vorhandensein des Geistes des Internationalismus, von dem unsere ganze Rote Armee durchdrungen ist. In den kapitalistischen Ländern pflegt man die Armeen im Geiste des Hasses gegen die Völker der anderen Länder zu erziehen, im Geiste des Hasses gegen die anderen Staaten, im Geiste des Hasses gegen die Arbeiter und Bauern der anderen Länder. Wozu tut man das? Dazu, um die Armee im Falle kriegerischer Zusammenstöße zwischenstaaten, zwischen Mächten, zwischen Ländern in eine folgsame Herde zu verwandeln. Darin liegt die Quelle der Schwäche aller kapitalistischen Armeen. Unsere Armee ist auf ganz anderen Grundlagen aufgebaut. Die Kraft unserer Roten Armee besteht darin, daß sie gleich vom ersten Tage ihres Entstehens an im Geiste des Internationalismus, im Geiste der Achtung vor den Völkern der anderen Länder, im Geiste der Liebe und Achtung vor den Arbeitern aller Länder, im Geiste der Erhaltung und Festigung des Friedens zwischen den Ländern erzogen wird.

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Und gerade deswegen, weil unsere Armee im Geiste des Internationalismus, im Geiste der Interessengemeinschaft der Arbeiter aller Länder erzogen wird, gerade deswegen ist unsere Armee die Armee der Arbeiter aller Länder. Und daß dieser Umstand die Quelle der Kraft und der Macht unserer Armee darstellt, das werden dereinst die Bourgeois aller Länder erfahren, falls sie sich entschließen sollten, unser Land zu überfallen, denn dann werden sie sehen, daß unsere im Geiste des Internationalismus erzogene Rote Armee unzählige Freunde und Bundesgenossen hat, in allen Teilen der Welt, von Schanghai bis New York, von London bis Kalkutta.

Das ist, Genossen, die dritte Hauptbesonderheit, von der der Geist unserer Armee durchdrungen ist, und die die Quelle ihrer Kraft und ihrer Macht bildet.

Der Wunsch der Partei, ihre Aufgabe besteht darin, daß diese Besonderheit ebenfalls unserer Armee erhalten und gesichert bleibt.

Diesen drei Besonderheiten verdankt unsere Armee ihre Kraft und ihre Macht.

Damit wird die Tatsache erklärt, daß unsere Armee weiß, welchen Weg sie geht, daß sie nicht aus Bleisoldaten, sondern aus bewußten Menschen besteht, die wissen, wohin sie zu gehen und wofür sie zu kämpfen haben.

Eine Armee aber, die weiß, wofür sie kämpft, ist unbesiegbar, Genossen!

Aus diesem Grunde hat unsere Rote Armee alles, um die beste Armee der Welt zu sein.

Es lebe unsere Rote Armee!

Es leben ihre Kämpfer!

Es leben ihre Führer!

Es lebe die Diktatur des Proletariats, die die Rote Armee hervorgebracht, ihr zum Sieg verholfen und sie mit Ruhm gekrönt hat! (Stürmischer, langanhaltender Beifall.)

„Prawda“ Nr. 50, 28. Februar 1928

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Rede im Kremlpalast vor den Absolventen der Akademien der Roten Armee

am 4. Mai 1935

Genossen! Es läßt sich nicht leugnen, daß wir in letzter Zeit große Erfolge sowohl auf dem Gebiete des Aufbaus als auch auf dem Gebiete der Verwaltung erzielt haben. Im Zusammenhang damit spricht man bei uns allzuviel von den Verdiensten der Leiter, von den Verdiensten der Führer. Ihnen schreibt man alle, fast alle unsere Errungenschaften zu. Das ist natürlich unzutreffend und unrichtig. Es kommt nicht nur auf die Führer an. Doch nicht darüber möchte ich heute sprechen. Ich möchte einige Worte über die Kader sagen, über unsere Kader im allgemeinen und über die Kader unserer Roten Armee im besonderen.

Ihr wißt, daß wir als Erbe der alten Zeit ein technisch rückständiges und fast bettelarmes, verheertes Land erhalten hatten. Verheert durch vier Jahre imperialistischen Krieg, nochmals verheert durch drei Jahre Bürgerkrieg, ein Land mit halbanalphabetischer Bevölkerung, mit tiefstehender Technik, mit vereinzelten Industrie-Oasen, die in einem Meer von winzigen Bauernwirtschaften versanken, — das war das Land, das wir von der Vergangenheit als Erbe erhalten hatten. Die Aufgabe bestand darin, dieses Land von den Bahnen des Mittelalters und der Unwissenheit auf das Geleise der modernen Industrie und der mechanisierten Landwirtschaft hinüber-zuleiten. Wie ihr seht, eine große und schwierige Aufgabe. Die Frage stand so: entweder lösen wir diese Aufgabe in kürzester Frist und festigen den Sozialismus in unserem Lande, oder wir lösen sie nicht, und dann verliert unser Land, das technisch schwach und kulturell rückständig ist, seine Unab-

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hängigkeit und wird zum Spielball der imperialistischen Mächte.

Unser Land machte damals eine Periode des schlimmsten Mangels auf dem Gebiete der Technik durch. Es mangelte an Maschinen für die Industrie. Es gab keine Maschinen für die Landwirtschaft. Es gab keine Maschinen für das Verkehrswesen. Es fehlte jene elementare technische Basis, ohne die die industrielle Umgestaltung des Landes undenkbar ist. Es gab nur einzelne Voraussetzungen für die Schaffung dieser Basis. Es mußte eine erstklassige Industrie geschaffen werden. Diese Industrie mußte darauf eingestellt werden, daß sie fähig sei, nicht nur die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft und auch unser Eisenbahnwesen technisch zu reorganisieren. Dafür aber mußte man Opfer bringen und in allem strengste Sparsamkeit walten lassen, mußte man sowohl an der Ernährung wie an Schulen und an Manufakturwaren sparen, um die notwendigen Mittel zur Schaffung einer Industrie zu akkumulieren. Einen anderen Weg zur Überwindung des Mangels auf dem Gebiete der Technik gab es nicht. Das lehrte uns Lenin, und wir sind hierbei den Fußstapfen Lenins gefolgt.

Es ist klar, daß man in einer so großen und schwierigen Sache nicht lauter Erfolge und dazu rasche Erfolge erwarten konnte. In einer solchen Sache können sich Erfolge erst nach einigen Jahren einstellen. Daher mußte man sich mit starken Nerven, mit bolschewistischer Ausdauer und zäher Geduld wappnen, um die ersten Mißerfolge zu überwinden und unbeirrt dem großen Ziel zuzuschreiten, ohne Schwankungen und Kleinmut in den eigenen Reihen zu dulden.

Ihr wißt, daß wir diese Sache in ebendieser Weise betrieben haben. Aber nicht alle unsere Genossen hatten genügend starke Nerven, genügend Geduld und Ausdauer. Unter unseren Genossen fanden sich Leute, die schon nach den ersten Schwierigkeiten zum Rückzug zu blasen begannen. Das Sprichwort sagt, „Wer Altes aufrührt, ist ein schlechter Geselle".

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Das ist natürlich richtig. Doch hat der Mensch ein Gedächtnis, und unwillkürlich erinnert man sich der Vergangenheit, wenn man die Ergebnisse unserer Arbeit zusammenfaßt. (Heiterkeit im Saal.) So gab es bei uns Genossen, die vor den Schwierigkeiten zurückschreckten und die Partei zum Rückzug aufzurufen begannen. Sie sagten: „Was soll uns eure Industrialisierung und Kollektivierung, was sollen uns eure Maschinen, eure Eisenhüttenindustrie, eure Traktoren, Mähdreschmaschinen, Automobile? Ihr tätet besser daran, mehr Manufakturwaren zu liefern, mehr Rohstoffe für die Produktion von Massenbedarfsartikeln zu kaufen und der Bevölkerung mehr von all den Kleinigkeiten zu geben, die das Leben des Menschen verschönern. Die Schaffung einer Industrie bei unserer Rückständigkeit, und noch dazu einer erstklassigen Industrie — das ist ein gefährlicher Traum."

Gewiß, wir hätten die 3 Milliarden Rubel Valuta, die wir durch strengste Sparsamkeit aufgebracht und für die Schaffung unserer Industrie ausgegeben haben — wir hätten sie für die Einfuhr von Rohstoffen und Erhöhung der Produktion von Massenbedarfsartikeln verwenden können. Das ist auch eine Art „Plan". Doch hätten wir bei einem solchen „Plan" weder eine Hüttenindustrie noch einen Maschinenbau, weder Traktoren und Automobile noch Flugzeuge und Tanks. Wir würden den äußeren Feinden wehrlos gegenüberstehen. Wir hätten die Grundlagen des Sozialismus in unserem Lande untergraben. Wir wären Gefangene der Bourgeoisie geworden, der inneren wie der äußeren.

Offenbar mußte man zwischen zwei Plänen wählen: zwischen dem Plan des Rückzugs, der zur Niederlage des Sozialismus geführt hätte und führen mußte, und dem Plan des Angriffs, der zum Siege des Sozialismus in unserem Lande führte und, wie ihr wißt, bereits geführt hat.

Wir haben den Plan des Angriffs gewählt und sind auf dem Leninschen Wege vorwärtsgeschritten, wobei wir diese Ge-

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nossen beiseiteschoben, als Leute, die nur das vor der Nase Liegende halbwegs sahen, dagegen vor der nächsten Zukunft unseres Landes, vor der Zukunft des Sozialismus in unserem Lande, die Augen verschlossen.

Doch beschränkten sich diese Genossen nicht immer auf Kritik und passiven Widerstand. Sie drohten uns mit der Entfachung eines Aufstandes in der Partei gegen das Zentralkomitee. Mehr noch: sie bedrohten manchen von uns mit Kugeln. Offensichtlich rechneten sie darauf, uns einzuschüchtern und uns zu zwingen, von dem Leninschen Wege abzuschwenken. Diese Leute hatten offenbar vergessen, daß wir Bolschewiki Menschen von besonderem Schlage sind. Sie hatten vergessen, daß sich die Bolschewiki weder durch Schwierigkeiten noch durch Drohungen, einschüchtern lassen. Sie hatten vergessen, daß uns der große Lenin, unser Führer, unser Lehrer, unser Vater, geschmiedet hat, der keine Furcht im Kampfe kannte und sie auch nicht gelten ließ. Sie hatten vergessen, daß die Bolschewiki, je stärker die Feinde toben und je mehr die Gegner im Innern der Partei in Hysterie verfallen, um so mehr für neue Kämpfe entbrennen und um so ungestümer vorwärtsstreben.

Es versteht sich von selbst, daß wir gar nicht daran dachten, von dem Leninschen Wege abzuschwenken. Mehr noch, nachdem wir endgültig diesen Weg eingeschlagen hatten, eilten wir noch ungestümer vorwärts, alle und jede Hindernisse aus dem Wege räumend. Freilich mußten wir dabei unterwegs manchem dieser Genossen Rippenstöße versetzen. Aber da ist nun einmal nichts zu machen. Ich muß gestehen, daß auch ich hierbei mit Hand angelegt habe. (Stürmischer Beifall. Hurrarufe.)

Jawohl, Genossen, wir sind sicher und zielbewußt den Weg der Industrialisierung und Kollektivierung unseres Landes gegangen. Und jetzt kann man sagen, daß wir diesen Weg bereits zurückgelegt haben.

Jetzt erkennen bereits alle an, daß wir auf diesem Wege gewaltige Erfolge errungen haben. Jetzt erkennen alle an,

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daß wir nunmehr eine mächtige und erstklassige Industrie haben, eine mächtige und mechanisierte Landwirtschaft, ein in Entwicklung und im Aufstieg begriffenes Verkehrswesen, eine organisierte und technisch prächtig ausgerüstete Rote Armee.

Das bedeutet, daß wir die Periode des Mangels auf dem Gebiete der Technik im wesentlichen bereits überwunden haben.

Aber nach Überwindung der Periode des Mangels auf dem Gebiete der Technik sind wir in eine neue Periode eingetreten, in eine Periode, möchte ich sagen, des Mangels auf dem Gebiete der Menschen, auf dem Gebiete der Kader, auf dem Gebiete der Arbeitskräfte, die es verstehen, die Technik zu meistern und vorwärtszubringen. Es handelt sich darum, daß wir Fabriken, Werke, Kollektivwirtschaften, Sowjetwirtschaften, ein Verkehrswesen, eine Armee haben, daß die Technik für all dies vorhanden ist, daß es aber an Leuten mit ausreichender Erfahrung fehlt, die notwendig ist, um aus der Technik das Höchstmaß dessen herauszuholen, was aus ihr herausgeholt werden kann. Früher sagten wir: „Die Technik entscheidet alles." Diese Losung hat uns in der Beziehung geholfen, daß wir dem Mangel auf dem Gebiet der Technik ein Ende bereitet und in allen Tätigkeitszweigen die breiteste technische Basis für die Ausrüstung unserer Arbeiter mit erstklassiger Technik geschaffen haben. Das ist sehr gut. Aber das ist noch lange, lange nicht genug. Um die Technik in Bewegung zu setzen und sie restlos auszunutzen, braucht man Menschen, die diese Technik meistern, braucht man Kader, die fähig sind, sich diese Technik anzueignen und sie nach allen Regeln der Kunst auszunutzen. Eine Technik ohne Menschen, die sie gemeistert haben, ist tot. Eine Technik mit Menschen an der Spitze, die die Technik gemeistert haben, kann und muß Wunder vollbringen. Hätten wir in unseren erstklassigen Werken und Fabriken, in unseren Sowjet- und Kollektivwirtschaften, in unserem Verkehrswesen, in unserer Roten Armee die genügende Anzahl von Kadern, die fähig sind, diese

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Technik zu bewältigen, so würde unser Land dreimal und viermal so große Leistungen erzielen wie heute. Das ist der Grund, warum jetzt das Schwergewicht auf die Menschen, auf die Kader, auf die Funktionäre gelegt werden muß, die die Technik meistern. Das ist der Grund, warum die alte Losung „Die Technik entscheidet alles", durch die eine bereits hinter uns liegende Periode, die Periode des Mangels auf dem Gebiete der Technik, gekennzeichnet ist, jetzt durch eine neue Losung ersetzt werden muß, durch die Losung „Die Kader entscheiden alles". Das ist jetzt die Hauptsache.

Kann man sagen, daß man bei uns die große Bedeutung dieser neuen Losung begriffen und voll erfaßt hat? Ich möchte das nicht sagen. Sonst hätten wir kein so unerhörtes Verhalten zu den Menschen, den Kadern, den Arbeitskräften, wie wir es nicht selten in unserer Praxis beobachten. Die Losung „Die Kader entscheiden alles" erfordert, daß unsere Leiter das sorgsamste Verhalten zu unseren Arbeitskräften, den „kleinen" und „großen", auf welchem Gebiete sie auch arbeiten mögen, an den Tag legen, sie sorgsam hegen und pflegen, ihnen helfen, wenn sie der Unterstützung bedürfen, sie ermuntern, wenn sie die ersten Erfolge aufzuweisen haben, sie aufrücken lassen usw. Indes sehen wir in der Praxis eine ganze Reihe von Fällen herzlos bürokratischen und geradezu unerhörten Verhaltens zu den Arbeitskräften. Das erklärt ja auch im Grunde, daß man mit den Menschen, anstatt sie kennenzulernen und sie erst, nachdem man sie kennengelernt hat, auf ihre Posten zu stellen, nicht selten wie mit Schachfiguren umspringt. Die Maschinen zu schätzen und darüber zu berichten, wie es um die technische Ausrüstung der Werke und Fabriken bestellt ist, das hat man gelernt. Aber ich kenne keinen einzigen Fall, wo man mit der gleichen Lust darüber berichtet hätte, wieviel Menschen wir in einer bestimmten Periode herangebildet und Wie wir ihnen geholfen haben, sich zu entwickeln und sich in der Arbeit zu stählen. Wodurch ist das zu erklären? Das ist dadurch zu erklären, daß man bei uns noch nicht gelernt hat,

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die Menschen zu schätzen, die Arbeitskräfte zu schätzen, die Kader zu schätzen.

Ich erinnere mich eines Falles in Sibirien, wo ich eine Zeitlang in der Verbannung lebte. Es war im Frühjahr, zur Zeit des Hochwassers. Dreißig Mann waren zum Fluß gegangen, um Holz herauszufischen, das von dem tobenden, gewaltigen Strom weggeschwemmt worden war. Am Abend kamen sie ins Dorf zurück, ein Kamerad aber fehlte. Auf die Frage, wo denn der dreißigste Mann sei, antworteten sie gleichgültig, daß der dreißigste „dort geblieben" sei. Auf meine Frage: „Wieso denn dort geblieben?", antworteten sie mit derselben Gleichgültigkeit:

„Was gibt's denn da noch zu fragen, er ist eben ertrunken." Und in demselben Augenblick eilte einer von ihnen irgendwohin und sagte: „Die Stute muß getränkt werden." Auf meinen Vorwurf, daß ihnen am Vieh mehr liege als an den Menschen, antwortete einer unter allgemeiner Zustimmung der anderen:

„Was liegt uns schon an ihnen, an den Menschen? Menschen können wir immer machen. Aber eine Stute... versuche mal, eine Stute zu machen." (Allgemeine Bewegung im Saal.) Da habt ihr einen vielleicht wenig bedeutsamen, aber sehr charakteristischen Zug. Mir scheint, daß das gleichgültige Verhalten mancher unserer Leiter zu den Menschen, zu den Kadern, und das Unvermögen, die Menschen zu schätzen, ein Überbleibsel jenes sonderbaren Verhaltens der Menschen zu Menschen ist, das in der eben erzählten Episode aus dem fernen Sibirien zum Ausdruck kam.

Darum, Genossen, müssen wir, wenn wir den Mangel an Menschen überwinden und es erreichen wollen, daß unser Land Kader in genügender Anzahl hat, die fähig sind, die Technik vorwärtszubringen und in Bewegung zu setzen, vor allen Dingen lernen, die Menschen zu schätzen, die Kader zu schätzen, jede Arbeitskraft zu schätzen, die fähig ist, unserer gemeinsamen Sache Nutzen zu bringen. Man muß endlich begreifen, daß von allen wertvollen Kapitalien, die es in der Welt gibt, das wertvollste und entscheidendste Kapital die

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Menschen, die Kader sind. Man muß begreifen, daß unter unseren heutigen Verhältnissen „die Kader alles entscheiden". Haben wir gute und zahlreiche Kader in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Verkehrswesen, in der Armee, so wird unser Land unbesiegbar sein. Haben wir solche Kader nicht, so werden wir auf beiden Beinen hinken.

Zum Schluß meiner Rede gestattet mir, einen Toast auszubringen auf das Wohl und das Gedeihen unserer Absolventen der Akademien der Roten Armee! Ich wünsche ihnen Erfolg bei der Organisierung und Leitung der Verteidigung unseres Landes!

Genossen! Ihr habt die Hochschule beendet und dort die erste Stählung erhalten. Doch ist die Schule nur eine Vorstufe. Die wirkliche Stählung der Kader erfolgt in der lebendigen Arbeit, außerhalb der Schule, im Kampfe mit Schwierigkeiten, bei der Überwindung von Schwierigkeiten. Denkt daran, Genossen, daß nur diejenigen Kader gut sind, die keine Schwierigkeiten fürchten, die sich nicht vor den Schwierigkeiten verstecken, sondern im Gegenteil den Schwierigkeiten entgegentreten, um sie zu überwinden und zu beseitigen. Nur im Kampfe mit Schwierigkeiten werden richtige Kader geschmiedet. Und wenn unsere Armee in genügender Menge wirklich gestählte Kader haben wird, dann wird sie unbesiegbar sein.

Auf euer Wohl, Genossen! (Stürmischer Beifall im ganzen Saal. Alle erheben sich und jubeln Genossen Stalin mit lauten Hurrarufen su.)

J. Stalin, „Fragen des Leninismus", Dietz Verlag, Berlin 1950, S. 590—596.

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Befehl des Volkskommissars für Verteidigung Nr. 55

Moskau, 23. Februar 1942

Genossen Rotarmisten und Matrosen der Roten Flotte, Kommandeure und politische Funktionäre, Partisanen und Partisaninnen!

Den 24. Jahrestag der Roten Armee begehen die Völker unseres Landes in den harten Tagen des Vaterländischen Krieges gegen das faschistische Deutschland, das einen dreisten und niederträchtigen Anschlag auf das Leben und die Freiheit unserer Heimat unternommen hat. An der ganzen gewaltigen Front vom Nördlichen Eismeer bis zum Schwarzen Meer führen die Krieger der Roten Armee und der Kriegsmarine erbitterte Kämpfe, um die faschistischen deutschen Eindringlinge aus unserem Lande zu vertreiben und die Ehre und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes zu behaupten.

Es ist nicht das erstemal, daß die Rote Armee unsere Heimat gegen den Überfall der Feinde zu verteidigen hat. Die Rote Armee wurde vor 24 Jahren geschaffen zum Kampf gegen die Truppen der ausländischen Interventen und Annexionisten, die bestrebt waren, unser Land zu zerstückeln und seine Unabhängigkeit zu vernichten. Die jungen Abteilungen der Roten Armee, die zum erstenmal in den Krieg zogen, schlugen am 23. Februar 1918 die deutschen Eindringlinge bei Pskow und Narwa aufs Haupt. Eben darum wurde der 23. Februar 1918 zum Geburtstag der Roten Armee erklärt. Seit dieser Zeit wuchs und erstarkte die Rote Armee im Kampfe gegen die ausländischen Interventen und Annexionisten. Sie verteidigte erfolgreich unsere Heimat in den Kämpfen gegen die deutschen Eindringlinge im Jahre 1918 und vertrieb sie aus der




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Ukraine und aus Belorußland. Sie verteidigte erfolgreich unsere Heimat in den Kämpfen gegen die ausländischen Truppen der Entente in den Jahren 1919 bis 1921 und vertrieb sie aus unserem Lande.

Die Zerschmetterung der ausländischen Interventen und Annexionisten während des Bürgerkrieges sicherte den Völkern der Sowjetunion einen langen Frieden und die Möglichkeit des friedlichen Aufbaus. In diesen zwei Jahrzehnten des friedlichen Aufbaus entstanden in unserem Lande eine sozialistische Industrie und eine kollektivierte Landwirtschaft, kamen Wissenschaft und Kultur zur Blüte, erstarkte die Freundschaft der Völker unseres Landes. Das Sowjetvolk vergaß aber niemals, daß ein neuer Überfall der Feinde auf unsere Heimat möglich ist. Darum wuchs zugleich mit dem Aufschwung von Industrie und Landwirtschaft, von Wissenschaft und Kultur auch die militärische Macht der Sowjetunion. Diese Macht haben bereits einige Liebhaber fremden Bodens am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die vielgepriesene faschistische deutsche Armee bekommt sie gegenwärtig zu spüren.

Vor 8 Monaten überfiel das faschistische Deutschland wortbrüchig unser Land, indem es brutal und niederträchtig den Nichtangriffspakt zerriß. Der Feind rechnete darauf, daß gleich nach dem ersten Stoß die Rote Armee geschlagen sein und die Fähigkeit zum Widerstand einbüßen würde. Doch der Feind hat sich gründlich verrechnet. Er berücksichtigte nicht die Stärke der Roten Armee, berücksichtigte nicht die Festigkeit des sowjetischen Hinterlandes, berücksichtigte nicht den Siegeswillen der Völker unseres Landes, berücksichtigte nicht die Unzuverlässigkeit des europäischen Hinterlandes des faschistischen Deutschlands, berücksichtigte schließlich nicht die innere Schwäche des faschistischen Deutschlands und seines Heeres.

Da der faschistische deutsche Überfall unerwartet und überraschend erfolgte, sah sich die Rote Armee in den ersten

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Monaten des Krieges gezwungen, zurückzuweichen und einen Teil des Sowjetgebiets aufzugeben. Doch beim Rückzug zermürbte sie die Kräfte des Feindes und versetzte ihm harte Schläge. Weder die Kämpfer der Roten Armee noch die Völker unseres Landes zweifelten daran, daß es ein zeitweiliger Rückzug war, daß der Feind aufgehalten und dann auch geschlagen werden wird.

Im Laufe des Krieges füllte sich die Rote Armee mit neuen Lebenskräften, sie erhielt Ergänzungen an Menschen und Material, bekam neue Reservedivisionen zur Unterstützung. Und die Zeit kam, da die Rote Armee die Möglichkeit erhielt, an den Hauptabschnitten der gewaltigen Front zur Offensive überzugehen. In einem kurzen Zeitraum versetzte die Rote Armee den faschistischen deutschen Truppen bei Rostow am Don und bei Tichwin, in der Krim und vor Moskau Schlag um Schlag. In erbitterten Kämpfen vor Moskau zerschlug sie die faschistischen deutschen Truppen, die die Sowjethauptstadt einzuschließen drohten. Die Rote Armee warf den Feind von Moskau zurück und drängt ihn immer weiter nach Westen ab. Die Gebiete Moskau und Tula, Dutzende von Städten und Hunderte von Dörfern anderer Gebiete, die zeitweilig vom Feind besetzt waren, sind von den deutschen Eindringlingen vollkommen gesäubert worden.

Heute haben die Deutschen nicht mehr den militärischen Vorsprung, den sie infolge des wortbrüchigen und überraschenden Überfalls in den ersten Kriegsmonaten hatten. Die Momente der Überraschung und des Unerwarteten als Reserven der faschistischen deutschen Truppen sind vollständig verausgabt. Dadurch ist jene Ungleichheit in den Kampfbedingungen beseitigt, die durch die Überraschung des faschistischen deutschen Überfalls geschaffen worden war. Nunmehr wird das Schicksal des Krieges nicht durch solch ein zufälliges Moment wie das Moment der Überraschung entschieden werden, sondern durch die ständig wirkenden Faktoren: die Festigkeit des Hinterlandes, die Moral der Armee, die Quantität und

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Qualität der Divisionen, die Bewaffnung der Armee, die organisatorischen Fähigkeiten des Kommandobestands der Armee. Dabei ist ein Umstand hervorzuheben: es brauchte nur das Moment der Überraschung aus dem Arsenal der Deutschen zu verschwinden, damit die faschistische deutsche Armee vor einer Katastrophe stand.

Die deutschen Faschisten halten ihre Armee für unbesiegbar und versichern, ihre Armee würde in einem Kriege einer gegen einen unbedingt die Rote Armee schlagen. Jetzt führen die Rote Armee und die faschistische deutsche Armee einen Krieg einer gegen einen. Mehr noch: Die faschistische deutsche Armee hat an der Front die direkte Unterstützung der Truppen Italiens, Rumäniens und Finnlands. Die Rote Armee hat einstweilen keine solche Unterstützung. Und was sehen wir? Die vielgepriesene deutsche Armee erleidet eine Niederlage, während die Rote Armee ernste Erfolge zu verzeichnen hat. Unter den mächtigen Schlägen der Roten Armee erleiden die nach dem Westen zurückflutenden deutschen Truppen gewaltige Verluste an Menschen und Material. Sie klammern sich an jeden Abschnitt, bemüht, den Tag ihrer Niederwerfung hinauszuschieben. Die Bemühungen des Feindes sind jedoch vergeblich. Die Initiative liegt jetzt in unseren Händen, und die krampfhaften Anstrengungen der ausgeleierten, verrosteten Maschine Hitlers sind außerstande, dem Druck der Roten Armee standzuhalten. Nicht fern ist der Tag, wo die Rote Armee durch ihren mächtigen Schlag die vertierten Feinde von Leningrad zurückwerfen, die Städte und Dörfer Belorußlands und der Ukraine, Litauens und Lettlands, Estlands und Kareliens von ihnen säubern, die Sowjetkrim befreien wird und wo über dem ganzen Sowjetlande von neuem siegreich die roten Fahnen wehen werden.

Es wäre jedoch unverzeihlich kurzsichtig, sich mit den erreichten Erfolgen zufriedenzugeben und zu glauben, daß die deutschen Truppen schon erledigt seien. Das wäre leere Angeberei und Überheblichkeit, unwürdig der Sowjetmenschen.

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Man darf nicht vergessen, daß uns noch viele Schwierigkeiten bevorstehen. Der Feind erleidet Niederlagen, ist aber noch nicht zerschlagen und - um so weniger - endgültig erledigt. Der Feind ist noch stark. Er wird seine letzten Kräfte anspannen, um Erfolge zu erzielen. Und je mehr Niederlagen er erleidet, um so bestialischer wird er werden. Darum ist es notwendig, daß unser Land keinen Augenblick nachläßt in der Ausbildung von Reserven zur Unterstützung der Front. Es ist notwendig, daß immer neue Truppenteile an die Front gehen, um den Sieg über den vertierten Feind zu schmieden. Es ist notwendig, daß unsere Industrie, insbesondere unsere Kriegsindustrie, mit verdoppelter Energie arbeitet. Es ist notwendig, daß die Front mit jedem Tag immer mehr Panzer, Flugzeuge, Geschütze, Granatwerfer, Maschinengewehre, Gewehre, Maschinenpistolen und Munition erhält.

Darin liegt eine der Hauptquellen der Stärke und Macht der Roten Armee.

Aber nicht darin allein besteht die Stärke der Roten Armee. Die Stärke der Roten Armee besteht vor allem darin, daß sie keinen Raubkrieg, keinen imperialistischen Krieg, sondern einen Vaterländischen Krieg, einen gerechten, einen Befreiungskrieg führt. Die Aufgabe der Roten Armee besteht darin, unser Sowjetgebiet von den deutschen Eindringlingen zu befreien; vom Joch der deutschen Eindringlinge die Bürger unserer Dörfer und Städte zu befreien, die vor dem Kriege frei waren und wie Menschen lebten, während sie jetzt unterdrückt sind und unter Plünderungen, Ruin und Hunger leiden; endlich:

unsere Frauen von der Schmach und dem Schimpf zu befreien, die ihnen von den faschistischen deutschen Unmenschen angetan werden. Was kann edler und erhabener sein als diese Aufgabe? Kein deutscher Soldat kann sagen, er führe einen .gerechten Krieg, denn er muß unbedingt sehen, daß er gezwungen wird, Krieg zu führen, um andere Völker auszurauben und zu unterdrücken. Der deutsche Soldat hat kein erhabenes und edles Kriegsziel, das ihn begeistern und auf

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das er stolz sein könnte. Und umgekehrt, jeder beliebige Kämpfer der Roten Armee kann mit Stolz sagen, daß er einen gerechten, einen Befreiungskrieg, einen Krieg für die Freiheit und Unabhängigkeit seines Vaterlandes führt. Die Rote Armee hat ihr edles und erhabenes Kriegsziel, das sie zu Heldentaten begeistert. Dadurch ist eigentlich auch zu erklären, daß der Vaterländische Krieg bei uns Tausende von Helden und Heldinnen hervorbringt, die bereit sind, für die Freiheit ihrer Heimat in den Tod zu gehen.

Darin besteht die Stärke der Roten Armee.

Darin besteht aber auch die Schwäche der faschistischen deutschen Armee.

In der ausländischen Presse wird manchmal darüber geschwätzt, daß die Rote Armee das Ziel habe, das deutsche Volk auszurotten und den deutschen Staat zu vernichten. Das ist natürlich eine dumme Lüge und eine törichte Verleumdung der Roten Armee. Solche idiotischen Ziele hat die Rote Armee nicht und kann sie nicht haben. Die Rote Armee setzt sich das Ziel, die deutschen Okkupanten aus unserem Lande zu vertreiben und den Sowjetboden von den faschistischen deutschen Eindringlingen zu befreien. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Krieg für die Befreiung des Sowjetbodens zur Vertreibung oder Vernichtung der Hitlerclique führen wird. Wir würden einen solchen Ausgang begrüßen. Es wäre aber lächerlich, die Hitlerclique mit dem deutschen Volke, mit dem deutschen Staate gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt. '

Die Stärke der Roten Armee besteht endlich darin, daß sie keinen Rassenhaß gegen andere Völker, auch nicht gegen das deutsche Volk, hegt und hegen kann, daß sie im Geiste der Gleichberechtigung aller Völker und Rassen, im Geiste der Achtung der Rechte anderer Völker erzogen ist. Die Rassentheorie der Deutschen und die Praxis des Rassenhasses haben dazu geführt, daß alle freiheitsliebenden Völker zu Feinden

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des faschistischen Deutschlands geworden sind. Die Theorie der Gleichberechtigung der Rassen in der Sowjetunion und die Praxis der Achtung der Rechte anderer Völker haben dazu geführt, daß alle freiheitsliebenden Völker zu Freunden der Sowjetunion geworden sind.

Darin besteht die Stärke der Roten Armee.

Darin besteht aber auch die Schwäche der faschistischen deutschen Armee.

In der ausländischen Presse wird manchmal darüber geschwätzt, daß die Sowjetmenschen die Deutschen eben als Deutsche hassen, daß die Rote Armee die deutschen Soldaten eben als Deutsche, aus Haß gegen alles Deutsche, vernichtet, daß die Rote Armee darum deutsche Soldaten nicht gefangennehme. Das ist natürlich ebenfalls eine dumme Lüge und eine törichte Verleumdung der Roten Armee. Die Rote Armee ist frei vom Gefühl des Rassenhasses. Sie ist frei von solch einem entwürdigenden Gefühl, weil sie im Geiste der Gleichberechtigung der Rassen und der Achtung der Rechte anderer Völker erzogen ist. Man darf außerdem nicht vergessen, daß in unserem Lande jede Äußerung von Rassenhaß gesetzlich bestraft wird.

Gewiß ist die Rote Armee vor die Notwendigkeit gestellt, die faschistischen deutschen Okkupanten zu vernichten, da sie unsere Heimat unterjochen wollen, oder wenn sie — eingekesselt von unseren Truppen — sich weigern, die Waffen zu strecken und sich gefangenzugeben. Die Rote Armee vernichtet sie, nicht weil sie deutscher Abstammung sind, sondern weil sie unsere Heimat unterjochen wollen. Die Rote Armee, ebenso wie die Armee eines jeden ändern Volkes, hat das Recht und die Pflicht, die Bedrücker ihrer Heimat, unabhängig von deren nationalen Abstammung, zu vernichten. Vor kurzem wurden in den Städten Kalinin, Klin, Suchinitschi, Andreapol und Toropez die deutschen Besatzungstruppen, die dort standen, von unseren Truppen eingekesselt; sie wurden aufgefordert, sich gefangenzugeben, und für diesen Fall wurde ihnen ver-

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sprechen, ihr Leben zu schonen. Die deutschen Besatzungen lehnten es ab, die Waffen zu strecken und sich gefangenzugeben. Es ist klar, daß sie mit Gewalt hinausgeschlagen werden mußten, wobei nicht wenige Deutsche vernichtet wurden. Krieg ist Krieg. Die Rote Armee nimmt deutsche Soldaten und Offiziere, wenn sie sich ergeben, gefangen und schont ihr Leben. Die Rote Armee vernichtet deutsche Soldaten und Offiziere, wenn sie es ablehnen, die Waffen zu strecken und wenn sie mit der Waffe in der Hand unsere Heimat zu unterjochen suchen. Man erinnere sich der Worte des großen russischen Schriftstellers Maxim Gorki: „Wenn der Feind sich nicht ergibt, wird er vernichtet."

Genossen Rotarmisten und Matrosen der Roten Flotte, Kommandeure und politische Funktionäre, Partisanen und Partisaninnen! Ich beglückwünsche euch zum 24. Jahrestag der Roten Armee! Ich wünsche euch den vollen Sieg über die faschistischen deutschen Eindringlinge!

Es lebe die Rote Armee und die Kriegsmarine!

Es leben die Partisanen und Partisaninnen!

Es lebe unsere ruhmreiche Heimat, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit!

Es lebe die große Partei der Bolschewiki, die uns zum Siege führt!

Es lebe das unbesiegbare Banner des großen Lenin!

Unter dem Banner Lenins - vorwärts, zur völligen Vernichtung der faschistischen deutschen Okkupanten!

Volkskommissar für Verteidigung

J. Stalin

J. Stalin, „Über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion",

Verlag für fremdsprachige Literatur,

Moskau 1946, 3. Ausgabe, S. 43 - 52.

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